WHO IS MISSING? AND WHY?


WHO IS MISSING? AND WHY?


NORMIERUNGEN, AUSSCHLÜSSE UND WEGLASSUNGEN
IN DER SELBSTDARSTELLUNG DER HUMBOLDT-UNIVERSITÄT.

/
NORMALIZATIONS, EXCLUSIONS AND OMISSIONS
IN THE SELF DEPICTION OF THE HUMBOLDT UNIVERSITY.





Friday, July 20, 2012

Tag 2/ Day 2

english version below

Tag 2 nach der Installation der Beschriftungen: Am Morgen hängen noch die Kontextualisierungskärtchen zu den Wissenschaf_tlerinnen und den Rektorin_nen im 1. OG sowie die Kärtchen im Philos_ophinnenflur im 2. OG. Um 16,30 sind alle Beschriftungen verschwunden. 

Da die Deinstallation von Beschriftungen an Portraits nicht ohne Autorisierung durch die Unileitung erfolgt sein kann, verstehen wir dies als ein deutliches Zeichen für die Verweigerung einer kritischen Auseinandersetzung mit der universitären Selbstdarstellung und als die willentliche Wiederherstellung der kritisierten hegemonialen Repräsentationsregime. 

Die Fotos aller abgenommenen Beschriftungen und die Beschriftungstexte seht ihr unten.


english version

Day 2 after the installation of the captions: In the morning our contextualizing captions of the womanified scient_ists and the re_ctors on the first floor and of the p_hilosophers on the second floor are still hanging. At half past 4 pm all of the captions have disappeared.

Given that the deinstallation of portrait captions can not have been conducted without authorization of the university administration, we understand this action as a clear sign of the refusal to critically deal with the university's self depiction and we also understand this as the deliberate restoration of the hegemonic regime of representation we have been questioning.

The pictures of all removed captions and the caption text you can see below.




Alexander von Humboldt_2 Welche Rolle spielen Personen wie Alexander von Humboldt für die Beschönigung, Romantisierung und Ent_Nennung von Kolonialismus im Rahmen der Konstruktion des Entdeckermythos? Warum wird Alexander von Humboldt bis heute im deutschen Kontext fast ausschließlich positiv gezeichnet? Wo ist die kritische Auseinandersetzung mit der deutschen kolonialen Vergangenheit und der Kontinuität kolonialistischen Habitus’?

Alexander von Humboldt_2 Which role do persons like Alexander von Humboldt play for the euphemizing, romanticizing and de_naming of colonialism framed by the construction of the explorer-myth? Why is an exclusively positive picture drawn of Alexander von Humboldt in the German context through today? Where is a critical examination of the German colonial past and the continuity of colonial habitus?



Adolf Butenandt_34 Butenandt war der Nachfolger von Carl Neuberg, der im Zuge des antisemitischen „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ 1934 als Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biochemie entlassen wurde. Somit profitierte Butenandt vom nationalsozialistischen System.  Der Umstand dass Butenandt alle Institutsunterlagen mit dem Vermerk „geheime Reichssache“ vernichtete, belegt seine Verstrickung in NS-Verbrechen. Er arbeitete außerdem eng mit Günther Hillmann und Otmar Freiherr von Verschuer, so genannter Rassenhygieniker und Eugeniker und Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie zusammen. Verschuer und Hillmann arbeiteten zusammen an einem Forschungsprojekt, bei dem sie von Joseph Mengele Blutproben und Leichenteile aus Auschwitz erhielten. Es ist daher davon auszugehen, dass Butenandt über dieses Forschungsprojekt und dessen Versuchsreihen, informiert war.  Darüber hinaus war er selbst an dubiosen medizinisch-militärischen Forschungsprojekten beteiligt. In Versuchsreihen zu Hämopoietin (Erythropoetin) war er Versuchen an menschlichen Lebern nicht abgeneigt.
Im Nachkriegsdeutschland hat er ein Bild der reinen Wissenschaft propagiert, die unabhängig von politischen Systemen agiert. Butenandt trat bei Entnazifizierungsprozessen für seine Nazi-Kollegen ein und argumentierte, dass diese durch ihr Betreiben einer reinen Wissenschaft keine Schuld an Verbrechen an der Menschlichkeit tragen und verhalf dadurch vielen Täter_innen zur Rehabilitation.

Adolf Butenandt_34 Butenandt was the successor of Carl Neuberg, who had been dismissed as the director of the Kaiser Wilhelm Institute of Biochemics in the course of the anti-Semitic „Law for the Restoration of the Professional Civil Service“ in 1934. Therefore, Butenandt benefited from the Nazi politics.  The fact that Butenandt destroyed all files of the Institute that had been labeled as “secret Reich business” proves his enmeshment in Nazi crimes. Butenandt was also working closely together with Günther Hillmann and Otmar Freiherr von Verschuer, director of the Kaiser Wilhelm Insitute of Anthropology, and a so-called racial hygienist and eugenicist. Verschuer and Hillmann worked together on a research project, for which they received blood samples and body parts provided by Joseph Mengele from Auschwitz. It can be assumed that Butenandt had been informed about this research project and its test series. Furthermore, Butenandt himself participated in dubious medical military research projects. While working on a test series of hemopoietin (erythropoietin), he wasn’t reluctant to experiment on human livers.
In post war Germany Butenandt propagated an image of pure science independent from respective politics. He also advocated for his Nazi colleagues during the denazification trials. He argued that, having conducted pure science, they didn’t bear the blame for the crimes against humanity. His involvement in this regard led to the rehabilitation of many perpetra_tors.


Otto Hahn_19  Otto Hahns politisch desinteressierte Haltung bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten verdeutlicht seine gesellschaftlich privilegierte Position im Vergleich zu Personen wie z.B. Albert Einstein, der Deutschland schon im Jahre 1932 aufgrund zunehmender antisemitischer Übergriffe auf seine Person verließ. Das lässt darauf schließen, dass es Hahn möglich war, die zunehmend antisemitische Atmosphäre zu ignorieren.
„Herr Hahn und ich erkannten seinerzeit sehr genau die Möglichkeit der Gewinnung explosiver Energien, als wir 1938 die Kernspaltung vollzogen hatten...“ (Klaus Hoffmann (1993), Otto Hahn – Schuld und Verantwortung, S. 159) Warum haben Hahn und Straßmann unter der gegebenen politischen Situation in Deutschland weitergeforscht? Wie sieht es mit der Verantwortung der Wissenschaft gegenüber Menschen aus? Haben Wissenschaftle_rinnen nicht die Pflicht kontinuierlich zu reflektieren welche Konsequenzen die Forschungsergebnisse nach sich ziehen könnten? Wem sie nutzen und wem sie schaden können? Warum wird Wissenschaft immer als neutral und unabhängig von gesellschaftlichen Kontexten gesetzt?
Darüber hinaus wird Lise Meitner, die „maßgeblich an der Entdeckung der Kernspaltung beteiligt“ war (siehe Infotext des Portraits Nr. 83) hier ent_erwähnt. Lise Meitner musste 1938 im Zuge des Anschlusses von Österreich aufgrund antisemitischer Verfolgung nach Schweden fliehen und wurde wie Fritz Straßmann bei der Verleihung des Nobelpreises übergangen.
Otto Hahn_19  Otto Hahn’s politically disinterested stance until the Nazis seized power illustrates his socially privileged position, compared to persons such as Albert Einstein, for instance, who left Germany as early as 1932 due to increasing anti-Semitic aggressions against him. It can be concluded, that for Otto Hahn it was possible to ignore the increasing anti-Semitic atmosphere.
Lise Meitner „had contributed significantly to the discovery of nuclear fission“ (see portrait number 83). In the course of the annexation of Austria in 1938, Lise Meitner had to flee to Sweden due to anti-Semitic persecution. Like Fritz Straßmann she has been overlooked in the awarding of the Nobel Prize. This fact is de_mentioned here.
„At that time Mister Hahn and I realized clearly that there was the possibility to produce explosive energy when we achieved nuclear fission in 1938.“ (Klaus Hoffmann (1993), Otto Hahn – Schuld und Verantwortung, S. 159; our translation)
Why did they continue their research in the given political situation in Germany?
What about the responsibility of science towards people?
As a scien_tist, isn’t it my duty to reflect on the possible outcomes of my research continuously? Whom they could benefit and whom they could harm?
Why is science always posited as neutral and independent of societal contexts?



Johann Gottlieb Fichte_42/74 „Derjenige Jude, der [...] zur allgemeinen Gerechtigkeits-, Menschen- und Wahrheitsliebe hindurchdringt, ist ein Held und ein Heiliger. Ich weiß nicht ob es deren gab oder gibt. Ich will es glauben, sobald ich sie sehe [...] Menschenrechte müssen sie haben, ob sie gleich uns dieselben nicht zugestehen [...] Aber ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich kein Mittel als das, in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei. Um uns vor ihnen zu schützen sehe ich kein anderes Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern und sie alle dahin zu schicken.“ (Johann Gottlieb Fichte: Beiträge zur Berichtigung der Urtheile des Publicums über die französische Revolution, 1793; Zitiert aus: J. G. Fichte: Schriften zur französischen Revolution, Reclam Verlag, Leipzig 1988, S. 143-144)
Wie neutral ist Philosophie? Wann und wie wird Antisemitismus ent_nannt oder normalisiert?
Warum und seit wann hängt Fichte hier (immer noch)? Was sagt das? Und wie fühlt es sich an? Für wen? Wer ist hier implizit angesprochen?
Johann Gottlieb Fichte_42/74 „That Jew, who achieves a general love for justice, the humankind and truth is a hero and a saint. I don’t know if there are or were any of those. I will  believe it as soon as I see it [...] they must have human rights, although they don’t concede them to us [...] But in order to give them civil rights, I see no other means than cutting off their heads in one night and to substitute other heads, in which there was no single Jewish idea. To protect ourselves from them, I see no means other than to overtake their holy land to send them there.“ (Johann Gottlieb Fichte: Beiträge zur Berichtigung der Urtheile des Publicums über die französische Revolution, 1793; Quoted from: J. G. Fichte: Schriften zur französischen Revolution, Reclam Verlag, Leipzig 1988, S. 143-144; our translation).
How neutral is philosophy?
When and how is anti-Semitism de_named or normalized?
Why, and since when is Fichte’s portrait hanging here (still)?
What does that say? And how does it feel? For whom? Who is addressed here implicitly?

Arthur Schopenhauer_70 „Sie sind sexus sequior, das in jedem Betracht zurückstehende Geschlecht, dessen Schwäche man demnach schonen soll, aber welchem Ehrfurcht zu bezeugen über die Maaßen lächerlich ist...“ (Arthur Schopenhauer: Ueber die Weiber. In: Parerga und Paralipomena - Kleine philosophische Schriften, 1851; Zitiert aus A. Schopenhauer Sämtliche Werke, 2. Band, E. Brodhaus Verlag, Wiesbaden 1947, S. 657-658)
Ist Schopenhauers Misogynie eine Ausnahme in der Philosophie und unter den hier portraitierten Philos_ophinnen? Ist sie nicht konstitutiv für seine Theoriebildung? Ist sie unerheblich für die Würdigung seiner Philosophie? Was macht die Normalisierung misogyner Wissenschaft mit frauisierten Wissenschaft_lerinnen? 

Arthur Schopenhauer_70 „They are sexus sequior, the sex that falls short in every aspect, their weakness should thus be protected, but to show them respect is ridiculous beyond all measure.“ (Arthur Schopenhauer: Ueber die Weiber. In: Parerga und Paralipomena - Kleine philosophische Schriften, 1851; Quoted from: A. Schopenhauer Sämtliche Werke, 2. Band, E. Brodhaus Verlag, Wiesbaden 1947, S. 657-658; our translation)
Is Schopenhauer’s misogyny an exception in philosophy, and among the philosoph_ers that are portrayed here? Isn’t it constitutive for his theory and is it irrelevant for the appreciation of his philosophy? What does the normalization of misogynist science do to womanified scien_tists?


Hedwig Hintze_77 Wurde Hedwig Hintze die Lehrbefugnis „aufgrund ihrer jüdischen Herkunft“ entzogen oder aufgrund staatlich organisierter antisemitischer Diskriminierung, die von den Mitarbeite_rinnen dieser Universität, zum eigenen Vorteil, umgesetzt wurde?
Wie werden Verantwortlichkeiten und Verfolgung ent_nannt und nationalsozialistische Begründungsmuster wiederholt?
Ein vergleichendes Beispiel:
Infotext des Portraits Nr_77: „1941 folgte ein Ruf als Associate Professor of History an die New School for Social Research in New York, dem sie wegen der deutschen Besatzung der Niederlande nicht mehr folgen konnte.“ (A_utorin unbenannt)
Vs.
Infotext der Hedwig Hintze-Gesellschaft: „Kurz vor Kriegsausbruch floh sie in die Niederlande, in der Hoffnung eine Ausreisegenehmigung zu bekommen. Nach dem Tod ihres Mannes 1940 und gescheiterten Einreiseversuchen in die USA, ohne finanziellen Rückhalt und seelisch am Ende nahm sie sich vermutlich - unter noch nicht ganz geklärten Umständen - im Juli 1942 in Utrecht das Leben.“ (Autorin Dr. Elisabeth Dickmann; Zitiert aus: http://www.hhi-bremen.de/hedwig.html)

Hedwig Hintze_77 Was Hedwig Hintze divested of her permission to teach „because of her Jewish origin“ or due to state-organized anti-Semitic discrimination, that was implemented by the university staff to their own advantage? How is it that responsibilities and persecution are dis_mentioned, and Nazi rationales are repeated? A comparative example: 
Infotext of portrait number_77: „In 1941 came an offer for Associate Professor of History at the New School for Social Research in New York, that she couldn’t accept due to the German occupation of the Netherlands.“ (Author unnamed) 
Vs. 
Infotext of the Hedwig Hintze-Society: „Shortly before the outbreak of the war, she fled to the Netherlands, hoping to get an exit visa. After the death of her husband in 1940 and several failed attempts to enter the US, without any financial support and psychically devastated, she presumably committed suicide in 1942 in Utrecht - under not yet fully clarified circumstances.“ (Author Dr. Elisabeth Dickmann; Quoted from: http://www.hhi-bremen.de/hedwig.html; our translation)


Lise Meitner_83 Lise Meitner war „maßgeblich an der Entdeckung der Kernspaltung beteiligt“ (siehe Portrait Nr. 83). Lise Meitner musste 1938 im Zuge des Anschlusses von Österreich aufgrund antisemitischer Verfolgung nach Schweden fliehen und wurde wie Fritz Straßmann bei der Verleihung des Nobelpreises an Otto Hahn übergangen. Dies wird sowohl hier als auch im Infotext des Otto Hahn-Portraits ent_erwähnt.

Lise Meitner_83 Lise Meitner „had contributed significantly to the discovery of nuclear fission“ (see portrait number 83). In  the course of the annexation of Austria Lise Meitner had to flee to Sweden due to anti-Semitic persecution. Like Fritz Straßmann  she has been overlooked in the awarding of the Nobel Prize. This fact is de_mentioned here.



Alice Salomon_87 1919 unterband die in diesem Flur ebenfalls portraitierte Getrud Bäumer in vorauseilendem Antisemitismus Alice Salomon’s Wahl zur Vorsitzenden des Dachverbandes der deutschen Frauenbewegung (Bund deutscher Frauenvereine - BDF).
Unter Bezugnahme auf ihre „jüdische Herkunft“ setzten Mitarb_eiterinnen dieser Universität die antisemitische Verfolgung im Falle von Alice Salomon sofort nach Machtergreifung 1933 um. Der in den Infotexten der Portraitreihe durchgängig verwendete Begriff „jüdische Herkunft“ wurde von den Nazis eingeführt, willkürlich zugeschrieben und als Begründung für Verfolgung und Ermordung der so Bezeichneten angeführt. Alice Salomon schreibt darüber in ihrer Biographie. (Charakter ist Schicksal – Lebenserinnerungen, Beltz Verlag, Weinheim und Basel, 1983, S. 236 ff. Originaltitel: Character is destiny, geschrieben 1940, erstmals veröffentlicht in deutscher Übersetzung 1983 und in der Originalausgabe 2004)

Alice Salomon_87 In an early act of anti-Semitism, Getrud Bäumer, who is portayed in this corridor as well, prevented Alice Salomon’s election for president of the BDF (Bund deutscher Frauenvereine – Union of German Feminist Organizations) in 1919.
In Alice Salomon’s case, employees of this university enforced the anti-Semitic persecution immediately after the takeover in 1933 with reference to her „Jewish orgin“.
The term „Jewish origin“ consistently used in this portrait collection was introduced by the Nazis, arbitrarily ascribed and invoked as an explanation for the persecution and the murder of those named. Alice Salomon wrote about this in her autobiography: „Character is destiny“. (Alice Salomon: Charakter ist Schicksal – Lebenserinnerungen, Beltz Verlag, Weinheim und Basel, 1983, S. 236 ff.; Original title: Character is destiny, written in 1940, first published in the German translation in 1983 and in the orginal version in 2004.)


Gertrud Bäumer_86 Gertrud Bäumer war antisemitisch. “Sie selbst definierte sich als Gegnerin des Antisemitismus, es gab jedoch ZeitgenossInnen, die sie für eine verkappte Antisemitin hielten. Bekanntlich verhinderte Bäumer 1919 die Wahl von Alice Salomon als Vorsitzende des BDF [Bund deutscher Frauenvereine_unsere Anm.]. Offiziell unterband sie Salomons Kandidatur mit dem Hinweis auf die antisemitische Grundstimmung in der Öffentlichkeit. [...] Außenpolitisch unterstützte Bäumer die Nationalsozialisten bis zuletzt. Ihr Traum von einem Großdeutschen Reich war ihr so wichtig, dass sie die Verfolgung, Ausgrenzung und Ermordung von „Nichtariern“ und „Nichtarierinnen“ nicht oder nur begrenzt wahrnahm. Ihre Gedanken kreisten vornehmlich um sich selbst und das eigene Werk. Die eigenen publizistischen und rednerischen Wirkungsmöglichkeiten wurden hoffnungslos überschätzt, und der Schaden, den sie durch Anpassung und selektive Wahrnehmung anrichtete, wurde nicht reflektiert. Bäumer zählte sich selbst zur Fraktion der „inneren Emigration“, die sie dem politischen Widerstand zuordnete.“ (Elke Kleinau: Sammelrezension: A. Schaser: Helene Lange und Gertrud Bäumer, 2004 Zitiert aus: http://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=34307)

Gertrud Bäumer_86  Gertrud Bäumer was anti-Semitic. “Bäumer herself defined herself as an opponent of anti-Semitism, but there were contemporaries who regarded her a disguised anti-Semite. As is generally known, she prevented the election of Alice Salomon for presidency of the BDF [Bund deutscher Frauenvereine; our comment] in 1919, hinting at the anti-Semitic undertones in public. [...] Regarding foreign affairs, Bäumer supported the Nazis untill the end. Her dream of a Greater German Reich was so important to her that she did not perceive the persecution, ostracism and murder of „non-Arians“, or perceived it only very limitedly. Her thoughts mainly circulated around herself and her own work. She hopelessly overestimated her own publications and rhetorical possibilities, and the damage she caused through assimilation and selective perception has not been considered. Bäumer classed herself among the fraction of „inner emigration“, which she classified as political resistance.“ (Elke Kleinau: Sammelrezension: A. Schaser: Helene Lange und Gertrud Bäumer, 2004; Quoted from: http://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=34307; our translation)

Wednesday, July 18, 2012

Eröffnung/Opening & Reaktion der Uni/reaction of the university


english version below







Gestern Abend (17.07.2012) haben wir das Interventionsprojekt eröffnet, indem wir an 9 Portraits im ersten und zweiten Obergeschoss des Hauptgebäudes und an der Humboldt-Statue vor dem Haupteingang Beschriftungskärtchen angebracht haben. Mit den Begleitbroschüren ausgestattet konnten die Leute, die bei der Eröffnung waren einen Rundgang durch das Hauptgebäude machen und sich die Kontextualisierungen ansehen. Vielen Dank an alle die zur Eröffnung gekommen sind für diesen schönen Abend!

Bisher gibt es keine offizielle Reaktion der Univerwaltung. Welchen Standpunkt sie gegenüber unserer kritischen Auseinandersetzung einnimmt ist jedoch bereits deutlich gemacht worden:
Tag 1 nach der Installation unserer Beschriftungen: Die Beschriftungen an der Humboldt-Statue, sowie die Beschriftungen an den Portraits der Nobelpreistr_ägerinnen Adolf Butenandt und Otto Hahn wurden entfernt. Die Broschüren die im Foyer ausgelegt wurden, haben wir im Mülleimer gefunden. 

english version
Yesterday evening (17.07.2012) we inaugurated our intervention project by installing captions on 9 portraits in the first and second floor of the main building and on the Humboldt-statue in front of the main entrance. Equipped with the accompanying leaflet everyone who came to the opening had the chance to walk through the building and look at the contextualizations. Thanks for the beautiful evening to all of you who came to the opening!

There has been no official reaction of the administration of the university until now. But they already demonstrated their attitude towards our critical examination:
Day 1 after the installation of our captions: The captions on the Humboldt-Statue, as well as the captions on the portraits of the Nobel Prize winners Adolf Butenandt and Otto Hahn have been removed. We found the leaflets that had been displayed in the foyer in the wastebin.







DOWNLOAD BROSCHÜRE: Die deutschsprachige Version der Broschüre mit Rundgangsplan und Übersicht der Portraits/Skulpturen findet ihr oben auf der rechten Seite verlinkt.
DOWNLOAD LEAFLET: You can find a link for the english version of the leaflet with tour map and overview of the portraits/sculptures up on the right side of the page.

Friday, July 13, 2012

Who is missing? And why? Normierungen, Ausschlüsse und Weglassungen in der Selbstdarstellung der Humboldt-Universität.

english version below

Who is missing? And why?
Normierungen, Ausschlüsse und Weglassungen in der Selbstdarstellung der Humboldt-Universität.

Welches Bild von Wissenschaft und Wi_ssenschaftlerinnen wird durch die Ausstellung von Skulpturen und Portraits im und um das Hauptgebäude der Humboldt-Universität herum hergestellt? Welche Personen wurden in den verschiedenen historischen Kontexten als Repräsenta_ntinnen der Universität ausgewählt und, vor allem, welche nicht? An welchen Punkten finden wir uns in diesen Repräsentationen wieder, an welchen nicht? Was sagt das über unsere eigenen Positionierungen? Solche und ähnliche Fragen haben uns beschäftigt als wir begannen dieses Projekt zu konzipieren.
Wir sind 2 weiße, ableisierte, frauisierte, bildungsprivilegierte Stud_entinnen der Gender Studies an der HU, denen es ein Bedürfnis ist aufzuzeigen, dass die vermeintlich neutralen Konstruktionen von Wissenschaft und deren Protago_nistinnen keineswegs neutral sind, sondern ein ganz bestimmtes Selbstbild der Universität erzeugen, in dem viele Menschen nicht mitgedacht und mitgenannt und viele Machtverhältnisse unsichtbar werden.
Menschen gelangen in den meisten Fällen nicht nur aufgrund ihrer Leistung in die privilegierte Positionierung ein_er berühmten Wissenschaftl_erin, di_er als einer Ehrung in Form einer Skulptur oder eines Portraits als würdig befunden wird. Die Möglichkeit in der Wissenschaft besonderes zu leisten und dafür auch anerkannt zu werden ist ein Privileg, dass durch verschiedene miteinander verwobene Machtverhältnisse bedingt ist und das vielen Menschen vorenthalten blieb und bleibt.
Dies zu zeigen ist eine Intention unseres Projektes auf die die Titelfrage abzielt, wer denn fehlt und weshalb.
Wir wollen jedoch auch zeigen, dass die von uns thematisierten Skulpturen und Portraits und die Art wie sie präsentiert und (nicht) kontextualisiert werden als Instrumente der universitären Selbstdarstellung zu verstehen sind, die nicht nur vieles, was fragwürdig ist, hinsichtlich ihrer Kontexte verschweigen, sondern auch bestimmte Normen voraussetzen und immer wieder neu herstellen.
Dies geschieht auf vielfältigen Wegen wie Benennung, Verschweigung, räumlicher Anordnung von ausgestellten Portraits oder Skulpturen und nicht zuletzt durch unseren Blick. Wir hoffen, dass wir es geschafft haben euch einige davon aufzuzeigen.
Wir selbst haben an vielen Stellen während der Recherche gemerkt, wie schwierig es ist Ausschlüsse und Normen zu erkennen, die uns selbst, als unter anderem ableisierte, weiße, Statisierte privilegieren und die uns darum häufig so selbstverständlich und unproblematisch erscheinen, dass wir sie erst gar nicht wahrnehmen. Wir haben dennoch versucht neben sexistischen Konstruktionen und Ausschlüssen durch die wir selbst diskriminiert sind auch Konstruktionen von Weißsein und Diskriminierungsverhältnisse wie Antisemitismus und Klassismus zu thematisieren.
In jedem Fall ist es uns wichtig zu sagen, dass wir dieses Projekt als den Versuch verstehen Fragen aufzuwerfen, die immer neue Fragen, in alle möglichen Richtungen, nach sich ziehen.
Wir wollen uns und im besten Falle auch euch zum Nachdenken bringen. Ersteres ist uns bereits gelungen.

Verwendung des dynamischen Unterstrichs:
“Um Binarisierungen weiter aufzubrechen und keine schriftbildliche Re_Präsentation eines männlich-konventionalisierten Wortes mit ›angehängter‹ weiblich-konventionalisierter Endung aufzurufen, wandert der Unterstrich als ›d.U.‹ durch die personalen Appellationsformen.” (AK Feministische Sprachpraxis (Hrsg): Feminismus schreiben lernen, 2011)

Verständnis von Machtverhältnissen:
Obwohl wir uns in unserem Projekt nicht auf alle existierenden Machtverhältnisse und Kategorisierungen explizit beziehen, gehen wir davon aus, dass diese immer im Wechselspiel miteinander und auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen wirken und nicht alleine stehen.
Kategorisierungen auf die wir nicht eingehen, die aber eine ebenso wichtige Rolle für die Herstellung von Normen spielen sind beispielsweise Behinderung/ Nichtbehinderung, Religion und Privilegierung aufgrund nationaler Zugehörigkeit.
Eine unserer Überlegungen zu Behinderung/Nichtbehinderung bezog sich darauf, dass die Art der Repräsentation der Personen dazu führt, dass die Personen als frei von Behinderung einlesbar sind, wodurch Nichtbehinderung implizit als Norm festgeschrieben wird.

Geschichtlicher Hintergrund/ zeitlicher Rahmen:
Bei einigen Kategorisierungen wie beispielsweise StaatsbürgerInnenschaft und Klasse wird besonders deutlich, dass sie nicht auf alle historisch-politischen Kontexte anwendbar bzw. an bestimmte Zeitspannen und Deutungskontexte gebunden sind. Um dies grob zu verdeutlichen folgende Eckdaten:

Zur Uni-Geschichte:
Die Friedrich-Wilhelm-Universität wurde 1810 gegründet und 1949 in Humboldt-Universität umbenannt.

Zu den Lebensdaten der repäsentierten Personen:
Die Lebenspannen der Personen, deren Repräsentationen von uns thematisert werden, umfassen die Jahre 1762 (Geburtsjahr Johann Gottlieb Fichte) bis 1995 (Todesjahr Adolf Butenandt).

Zu den historisch-politischen Kontexten:
   Bis 1806: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation
1815-1866: Deutscher Bund (Staatenbund)
1867-1871: Norddeutscher Bund
1871-1918: Deutsches Kaiserreich
1919-1933:  Weimarer Republik
1933-1945: Nationalsozialismus
1945-1949: Von den Alliierten besetztes Deutschland
1949-1990: DDR
1990-heute: Bundesrepublik Deutschland

Kurations-/Installationskontext:
Bis auf wenige Ausnahmen finden sich an den von uns thematisierten Repräsentationen keine Informationen dazu wann diese erstmals installiert wurden und wer die einzelnen Ausstellungsteile kuratiert hat.

So fragten wir uns unter anderem warum beispielsweise der Entstehungskontext des Marx-Zitates in Form einer Infotafel thematisiert wird und die Kontexte anderer Portraitsammlungen/Skulpturen bzw. des Mahnmals nicht?

Zur Auswahl der kontextualisierten Repräsentationen

Wir haben uns für unser Projekt auf jene Skulpturen und Portraits beschränkt, die sich direkt im und um das Hauptgebäude herum befinden und die Personen namentlich benennen und abbilden, die von der Uni als berühmte Gelehrte der Humboldt-Universität bezeichnet werden. Außerdem haben wir das Marx-Zitat im Foyer und das Mahnmal für die antifaschistischen Widerstandskämpfe_rinnen im Hinterhof in unsere Recherche einbezogen. Wir hoffen damit ansatzweise zu verdeutlichen welche Rolle die verschiedenen historischen Kontexte für die erstmalige Installation sowie das Verbleiben, Verschwinden oder die neue Besetzung einzelner Repräsentationen spielen.
Neben den Karten und den Informationen in dieser Broschüre haben wir an einigen der verzeichneten Portraits und Skulpturen Beschriftungen befestigt. Hierbei ist es unser Anliegen zu den repräsentierten Persönlichkeiten und der Art wie sie präsentiert werden, zu informieren oder Fragen zu stellen und auf Sachverhalte hinzuweisen, die auf den teils vorhandenen Kontextkärtchen der Universität keine Erwähnung finden.
Erst am Ende unserer Projektarbeit sind wir auf weitere Repräsentationen wie beispielsweise die 2010 auf Initiative von S_tudentinnen der Humboldt-Universität verlegten Stolpersteine vor dem Eingangstor des Hauptgebäudes und auf weitere im und um das Hauptgebäude herum befindliche Gedenktafeln gestoßen. Obwohl wir diese nicht in unser Projekt einbezogen haben, sollen sie hier nicht unerwähnt bleiben.

Die von uns im Folgenden thematisierten Repräsentationen sind der Installationslogik der räumlichen Anordnung der Uni folgend, in diese Untergruppen unterteilt:
Skulpturen vor, neben und hinter dem Hauptgebäude (EG)
Installation des Marx-Zitates im Foyer (EG)
Portraitreihe Nobelpreisträg_erinnen (1. OG)
Portraitreihe Rekto_rinnen und Präs_identinnen (1. OG)
Portraitreihe Frausierte Wi_ssenschaftlerinnen (1. OG)
Portraitreihe Phi_losophinnen (2. OG)
Mahnmal für die im Kampf gegen den Hitlerfaschismus Gefallenen (EG)

Karte der thematisierten  Repräsentationen_Fragen und Anmerkungen zu den Repräsentationen

1_ Warum werden die Entstehungskontexte und die Geschichten der Skulpturen nicht thematisiert?

2_ Warum steht auf dem Mahnmal der Terminus Hitlerfaschismus und  nicht Nationalsozialismus oder deutscher Faschismus?
Welcher Eindruck entsteht dadurch?
Wann und von wem und unter welchen politischen Maßgaben wurden welche Statuen aufgestellt?
Welche Art des Gedenkens kommt heute noch/ nicht mehr vor?
Wem wird nicht gedacht und welche Ausschlüsse werden dadurch (re)produziert?

3_ Wann und von wem und unter welchen politischen Maßgaben wurden die Statuen aufgestellt?

4_ Welches Bild von Philosophie wird durch die Potraitauswahl produziert?

5_ Warum wurde mit Marlis Dürkop erst 1992 erstmals eine Frauisierte Rekto_rin? Warum blieb sie bis heute die einzige? Warum ist Marlis Dürkop nicht portraitiert? Welcher Eindruck entsteht dadurch?

6_ Wie wird das Marx-Zitat heute kontextualisiert und welcher Eindruck entsteht dadurch? Würde das Marx-Zitat noch hängen, wenn es nicht unter Denkmalschutz stünde?

 7_ Gibt/ Gab es Nobelpreisträg_erinnen an der Friedrich-Wilhelm-Universität/ Humboldt-Universität, die bspw. nicht als weiß und typisiert einlesbar sind?

8_ Wer hat die Bildergalerie zu den Wissenschaf_tlerinnen/Stude_ntinnen and der Friedrich-Wilhelm-/Humboldt-Universität kuratiert und wann wurde diese Portraitsammlung installiert?
Nach welchen Kriterien wurden die Personen/Biographien ausgewählt?
Welche Frauisierten werden hier nicht gezeigt? > Frauisierte die unter prekären Bedingungen (d.h. unbezahlt und ohne jemals für ihre Leistungen gewürdigt und anerkannt worden zu sein) wissenschaftlich tätig waren noch bevor offizielle Immatrikulationen in Deutschland möglich wurden, werden hier nochmalig weg_genannt.
> Das verbindende Element der dargestellten Frauisierten besteht darin, dass sie um die Jahrhundertwende (19./20. Jh.) lebten und damit Protagonistinne_n des bis dahin verbotenen und dann erstmals erkämpften Zugangs Frauisierter zu höherer schulischer und universitärer Bildung in Deutschland waren.
Warum wird dieser Hintergrund nur punktuell in den Infotexten erwähnt und die diskriminierende Struktur, deren Teil diese Uni war, ent_erwähnt?

Finanzielle Privilegierung/ Bildungsprivileg

Welche der repräsentierten Personen sind nicht in finanziell privilegierten Verhältnissen aufgewachsen?/ Welche der  repräsentierten Personen sind nicht in Akade_mikerinnen-Familien aufgewachsen in denen ihnen Bildung nahegelegt und ermöglicht wurde?

Johann Gottlieb Fichte_42/74
Peter Debye_33

Mit finanzieller Privilegierung beziehen wir uns auf die wirtschaftlichen Verhältnisse und den sozialen Status der Familien in denen die Personen aufgewachsen sind. Im Rahmen unserer Recherche stellten wir fest, dass unter den häufigsten Berufen der Väter Kaufmann, Beamter, Anwalt, Pfarrer, Lehrer, Professor, Arzt und Großunternehmer genannt werden.
Warum wurden in unseren Quellen nur die Berufe der Väter benannt? Warum wurden die Mütter höchstens namentlich genannt oder über ihre Herkunftsfamilie (= Väter) definiert?
Warum fanden wir keine Biographien jenseits der als selbstverständlich suggerierten heterosexuellen Familie (Vater-Mutter-Kind-Modell)?
Wie unüberwindlich waren Stände- und Klassengrenzen im 18., 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts und wie durchlässig sind sie heute?

Der Begriff Bildungsprivileg bezeichnet den Umstand, dass Kinder aus finanziell privilegierten Familien hohe Chancen haben eine höhere Schule oder Universität zu besuchen. Wir gehen außerdem davon aus, dass es auch unabhängig von finanzieller Privilegierung für Kinder, die in Akademike_rinnen-Familien sozialisiert werden, leichter ist Zugang zu höherer Bildung zu erlangen.
Warum stabilisiert Politik diese Bildungsprivilegien noch heute?

Weißsein

Welche der repräsentierten Personen sind nicht als weiß konstruiert/ lesbar gemacht?

0 Personen

In Anlehnung an die Definition aus Mythen, Masken und Subjekte (Maureen Maisha Eggers et al.) verstehen wir Weißsein als eine Kategorie, die nicht natürlich gegebene Sichtbarkeit, sondern hergestellte, interpretierte und praktizierte Sichtbarkeit beschreibt.
Wir gehen davon aus, dass die Personen ausnahmslos als weiß eingelesen werden, wodurch ein Bild weißer Wissenschaft (re)produziert wird und Person of Color-Wissenschaftl_erinnen ent_nannt werden. Zudem wird die aktive Rolle, die viele Wissenschaftl_lerinnen im Kolonialismus gespielt haben sowie deren Beteiligung an kolonialistischer Ausbeutung und Ermordung von People of Color im Namen der Wissenschaft ent_erwähnt.

Geschlecht

Welche der repräsentierten Personen sind nicht der Kategorisierung Typisierte zugeordnet?

Rahel Hirsch_75
Paula Hertwig_76
Hedwig Hintze_77
Gertrud Kornfeld_78
Charlotte Leubuscher_79
Liselotte Herrmann_80/90
Marie Elisabeth Lüders_81
Rhoda Erdmann_82
Lise Meitner_83
Hedwig Dohm_84
Liselotte Richter_85
Gertrud Bäumer_86
Alice Salomon_87
Liselotte Welskopf-Heinrich_88
Agnes von Zahn-Harnack_89
Mildred Harnack-Fish_92
Liane Berkowitz_93
Ursula Goetze_94
Eva-Maria Buch_95
Rosemarie Terwiel_96

Geschlecht wird in den Repräsentationen der Personen als zweigeschlechtlich konstruiert und eingelesen. Das heißt die Personen werden als Frauen oder Männer dargestellt. In Anlehnung an Feminismus schreiben lernen (AK Feministische Sprachpraxis) nennen wir diese Konstruktionen Frauisierte und Typisierte.
Warum handelt es sich bei den repräsentierten Personen zu 80 % um Typisierte?

ZweiGenderung

Welche der repräsentierten Personen sind nicht einem System von ZweiGenderung (d.h. in Frauisierte und Typisierte eingeteilt) zugeordnet?

0 Personen

ZweiGenderung ist die Annahme, dass es 2 Geschlechter gibt und dass alle Menschen sich eindeutig einem der beiden Geschlechter zuordnen lassen. Diese Unterscheidung wird als selbstverständlich, natürlich, unhinterfragbar und objektiv gesetzt.
Neben stereotypen Darstellungen von Kleidung und Habitus wird dieser Eindruck auch über die Namen erzeugt. Die Vereindeutigung von Geschlecht wird neben solch kulturellen Tradierungen von Geschlechternormen auch durch unsere Vorannahmen und unseren Blick vollzogen.
Auf der Ebene der Austellungskuration wird ZweiGenderung auch durch die Separierung der Frausierten im Flur der Wissensch_aftlerinnen erzeugt.
Welcher Raum bleibt in diesen binären Konstruktionen für Trans- und Intersex-Menschen?

Übersicht der hinzugefügten Kontextualisierungen, Anmerkungen und Fragen in Form von Beschriftungen im und um das Hauptgebäude herum.

Alexander von Humboldt_2 Welche Rolle spielen Personen wie Alexander von Humboldt für die Beschönigung, Romantisierung und Ent_Nennung von Kolonialismus im Rahmen der Konstruktion des Entdeckermythos? Warum wird Alexander von Humboldt bis heute im deutschen Kontext fast ausschließlich positiv gezeichnet? Wo ist die kritische Auseinandersetzung mit der deutschen kolonialen Vergangenheit und der Kontinuität kolonialistischen Habitus’?

Arthur Schopenhauer_70 „Sie sind sexus sequior, das in jedem Betracht zurückstehende Geschlecht, dessen Schwäche man demnach schonen soll, aber welchem Ehrfurcht zu bezeugen über die Maaßen lächerlich ist...“ (Arthur Schopenhauer: Ueber die Weiber. In: Parerga und Paralipomena - Kleine philosophische Schriften, 1851; Zitiert aus A. Schopenhauer Sämtliche Werke, 2. Band, E. Brodhaus Verlag, Wiesbaden 1947, S. 657-658)
Ist Schopenhauers Misogynie eine Ausnahme in der Philosophie und unter den hier portraitierten Philos_ophinnen? Ist sie nicht konstitutiv für seine Theoriebildung? Ist sie unerheblich für die Würdigung seiner Philosophie? Was macht die Normalisierung misogyner Wissenschaft mit frauisierten Wissenschaft_lerinnen?

Johann Gottlieb Fichte_42/74 „Derjenige Jude, der [...] zur allgemeinen Gerechtigkeits-, Menschen- und Wahrheitsliebe hindurchdringt, ist ein Held und ein Heiliger. Ich weiß nicht ob es deren gab oder gibt. Ich will es glauben, sobald ich sie sehe [...] Menschenrechte müssen sie haben, ob sie gleich uns dieselben nicht zugestehen [...] Aber ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich kein Mittel als das, in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei. Um uns vor ihnen zu schützen sehe ich kein anderes Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern und sie alle dahin zu schicken.“ (Johann Gottlieb Fichte: Beiträge zur Berichtigung der Urtheile des Publicums über die französische Revolution, 1793; Zitiert aus: J. G. Fichte: Schriften zur französischen Revolution, Reclam Verlag, Leipzig 1988, S. 143-144)
Wie neutral ist Philosophie? Wann und wie wird Antisemitismus ent_nannt oder normalisiert?
Warum und seit wann hängt Fichte hier (immer noch)? Was sagt das? Und wie fühlt es sich an? Für wen? Wer ist hier implizit angesprochen?

Gertrud Bäumer_86 Gertrud Bäumer war antisemitisch. “Sie selbst definierte sich als Gegnerin des Antisemitismus, es gab jedoch ZeitgenossInnen, die sie für eine verkappte Antisemitin hielten. Bekanntlich verhinderte Bäumer 1919 die Wahl von Alice Salomon als Vorsitzende des BDF [Bund deutscher Frauenvereine_unsere Anm.]. Offiziell unterband sie Salomons Kandidatur mit dem Hinweis auf die antisemitische Grundstimmung in der Öffentlichkeit. [...] Außenpolitisch unterstützte Bäumer die Nationalsozialisten bis zuletzt. Ihr Traum von einem Großdeutschen Reich war ihr so wichtig, dass sie die Verfolgung, Ausgrenzung und Ermordung von „Nichtariern“ und „Nichtarierinnen“ nicht oder nur begrenzt wahrnahm. Ihre Gedanken kreisten vornehmlich um sich selbst und das eigene Werk. Die eigenen publizistischen und rednerischen Wirkungsmöglichkeiten wurden hoffnungslos überschätzt, und der Schaden, den sie durch Anpassung und selektive Wahrnehmung anrichtete, wurde nicht reflektiert. Bäumer zählte sich selbst zur Fraktion der „inneren Emigration“, die sie dem politischen Widerstand zuordnete.“ (Elke Kleinau: Sammelrezension: A. Schaser: Helene Lange und Gertrud Bäumer, 2004 Zitiert aus: http://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=34307)

Lise Meitner_83 Lise Meitner war „maßgeblich an der Entdeckung der Kernspaltung beteiligt“ (siehe Portrait Nr. 83). Lise Meitner musste 1938 im Zuge des Anschlusses von Österreich aufgrund antisemitischer Verfolgung nach Schweden fliehen und wurde wie Fritz Straßmann bei der Verleihung des Nobelpreises an Otto Hahn übergangen. Dies wird sowohl hier als auch im Infotext des Otto Hahn-Portraits ent_erwähnt.

Adolf Butenandt_34 Butenandt war der Nachfolger von Carl Neuberg, der im Zuge des antisemitischen „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ 1934 als Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biochemie entlassen wurde. Somit profitierte Butenandt vom nationalsozialistischen System.  Der Umstand dass Butenandt alle Institutsunterlagen mit dem Vermerk „geheime Reichssache“ vernichtete, belegt seine Verstrickung in NS-Verbrechen. Er arbeitete außerdem eng mit Günther Hillmann und Otmar Freiherr von Verschuer, so genannter Rassenhygieniker und Eugeniker und Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie zusammen. Verschuer und Hillmann arbeiteten zusammen an einem Forschungsprojekt, bei dem sie von Joseph Mengele Blutproben und Leichenteile aus Auschwitz erhielten. Es ist daher davon auszugehen, dass Butenandt über dieses Forschungsprojekt und dessen Versuchsreihen, informiert war.  Darüber hinaus war er selbst an dubiosen medizinisch-militärischen Forschungsprojekten beteiligt. In Versuchsreihen zu Hämopoietin (Erythropoetin) war er Versuchen an menschlichen Lebern nicht abgeneigt.
Im Nachkriegsdeutschland hat er ein Bild der reinen Wissenschaft propagiert, die unabhängig von politischen Systemen agiert. Butenandt trat bei Entnazifizierungsprozessen für seine Nazi-Kollegen ein und argumentierte, dass diese durch ihr Betreiben einer reinen Wissenschaft keine Schuld an Verbrechen an der Menschlichkeit tragen und verhalf dadurch vielen Täter_innen zur Rehabilitation.

Otto Hahn_19  Otto Hahns politisch desinteressierte Haltung bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten verdeutlicht seine gesellschaftlich privilegierte Position im Vergleich zu Personen wie z.B. Albert Einstein, der Deutschland schon im Jahre 1932 aufgrund zunehmender antisemitischer Übergriffe auf seine Person verließ. Das lässt darauf schließen, dass es Hahn möglich war, die zunehmend antisemitische Atmosphäre zu ignorieren.
„Herr Hahn und ich erkannten seinerzeit sehr genau die Möglichkeit der Gewinnung explosiver Energien, als wir 1938 die Kernspaltung vollzogen hatten...“ (Klaus Hoffmann (1993), Otto Hahn – Schuld und Verantwortung, S. 159) Warum haben Hahn und Straßmann unter der gegebenen politischen Situation in Deutschland weitergeforscht? Wie sieht es mit der Verantwortung der Wissenschaft gegenüber Menschen aus? Haben Wissenschaftle_rinnen nicht die Pflicht kontinuierlich zu reflektieren welche Konsequenzen die Forschungsergebnisse nach sich ziehen könnten? Wem sie nutzen und wem sie schaden können? Warum wird Wissenschaft immer als neutral und unabhängig von gesellschaftlichen Kontexten gesetzt?
Darüber hinaus wird Lise Meitner, die „maßgeblich an der Entdeckung der Kernspaltung beteiligt“ war (siehe Infotext des Portraits Nr. 83) hier ent_erwähnt. Lise Meitner musste 1938 im Zuge des Anschlusses von Österreich aufgrund antisemitischer Verfolgung nach Schweden fliehen und wurde wie Fritz Straßmann bei der Verleihung des Nobelpreises übergangen.

Alice Salomon_87 1919 unterband die in diesem Flur ebenfalls portraitierte Getrud Bäumer in vorauseilendem Antisemitismus Alice Salomon’s Wahl zur Vorsitzenden des Dachverbandes der deutschen Frauenbewegung (Bund deutscher Frauenvereine - BDF).
Unter Bezugnahme auf ihre „jüdische Herkunft“ setzten Mitarb_eiterinnen dieser Universität die antisemitische Verfolgung im Falle von Alice Salomon sofort nach Machtergreifung 1933 um. Der in den Infotexten der Portraitreihe durchgängig verwendete Begriff „jüdische Herkunft“ wurde von den Nazis eingeführt, willkürlich zugeschrieben und als Begründung für Verfolgung und Ermordung der so Bezeichneten angeführt. Alice Salomon schreibt darüber in ihrer Biographie. (Charakter ist Schicksal – Lebenserinnerungen, Beltz Verlag, Weinheim und Basel, 1983, S. 236 ff. Originaltitel: Character is destiny, geschrieben 1940, erstmals veröffentlicht in deutscher Übersetzung 1983 und in der Originalausgabe 2004)

Hedwig Hintze_77 Wurde Hedwig Hintze die Lehrbefugnis „aufgrund ihrer jüdischen Herkunft“ entzogen oder aufgrund staatlich organisierter antisemitischer Diskriminierung, die von den Mitarbeite_rinnen dieser Universität, zum eigenen Vorteil, umgesetzt wurde?
Wie werden Verantwortlichkeiten und Verfolgung ent_nannt und nationalsozialistische Begründungsmuster wiederholt?
Ein vergleichendes Beispiel:
Infotext des Portraits Nr_77: „1941 folgte ein Ruf als Associate Professor of History an die New School for Social Research in New York, dem sie wegen der deutschen Besatzung der Niederlande nicht mehr folgen konnte.“ (A_utorin unbenannt)
Vs.
Infotext der Hedwig Hintze-Gesellschaft: „Kurz vor Kriegsausbruch floh sie in die Niederlande, in der Hoffnung eine Ausreisegenehmigung zu bekommen. Nach dem Tod ihres Mannes 1940 und gescheiterten Einreiseversuchen in die USA, ohne finanziellen Rückhalt und seelisch am Ende nahm sie sich vermutlich - unter noch nicht ganz geklärten Umständen - im Juli 1942 in Utrecht das Leben.“ (Autorin Dr. Elisabeth Dickmann; Zitiert aus: http://www.hhi-bremen.de/hedwig.html)