WHO IS MISSING? AND WHY?


WHO IS MISSING? AND WHY?


NORMIERUNGEN, AUSSCHLÜSSE UND WEGLASSUNGEN
IN DER SELBSTDARSTELLUNG DER HUMBOLDT-UNIVERSITÄT.

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NORMALIZATIONS, EXCLUSIONS AND OMISSIONS
IN THE SELF DEPICTION OF THE HUMBOLDT UNIVERSITY.





Friday, July 13, 2012

Who is missing? And why? Normierungen, Ausschlüsse und Weglassungen in der Selbstdarstellung der Humboldt-Universität.

english version below

Who is missing? And why?
Normierungen, Ausschlüsse und Weglassungen in der Selbstdarstellung der Humboldt-Universität.

Welches Bild von Wissenschaft und Wi_ssenschaftlerinnen wird durch die Ausstellung von Skulpturen und Portraits im und um das Hauptgebäude der Humboldt-Universität herum hergestellt? Welche Personen wurden in den verschiedenen historischen Kontexten als Repräsenta_ntinnen der Universität ausgewählt und, vor allem, welche nicht? An welchen Punkten finden wir uns in diesen Repräsentationen wieder, an welchen nicht? Was sagt das über unsere eigenen Positionierungen? Solche und ähnliche Fragen haben uns beschäftigt als wir begannen dieses Projekt zu konzipieren.
Wir sind 2 weiße, ableisierte, frauisierte, bildungsprivilegierte Stud_entinnen der Gender Studies an der HU, denen es ein Bedürfnis ist aufzuzeigen, dass die vermeintlich neutralen Konstruktionen von Wissenschaft und deren Protago_nistinnen keineswegs neutral sind, sondern ein ganz bestimmtes Selbstbild der Universität erzeugen, in dem viele Menschen nicht mitgedacht und mitgenannt und viele Machtverhältnisse unsichtbar werden.
Menschen gelangen in den meisten Fällen nicht nur aufgrund ihrer Leistung in die privilegierte Positionierung ein_er berühmten Wissenschaftl_erin, di_er als einer Ehrung in Form einer Skulptur oder eines Portraits als würdig befunden wird. Die Möglichkeit in der Wissenschaft besonderes zu leisten und dafür auch anerkannt zu werden ist ein Privileg, dass durch verschiedene miteinander verwobene Machtverhältnisse bedingt ist und das vielen Menschen vorenthalten blieb und bleibt.
Dies zu zeigen ist eine Intention unseres Projektes auf die die Titelfrage abzielt, wer denn fehlt und weshalb.
Wir wollen jedoch auch zeigen, dass die von uns thematisierten Skulpturen und Portraits und die Art wie sie präsentiert und (nicht) kontextualisiert werden als Instrumente der universitären Selbstdarstellung zu verstehen sind, die nicht nur vieles, was fragwürdig ist, hinsichtlich ihrer Kontexte verschweigen, sondern auch bestimmte Normen voraussetzen und immer wieder neu herstellen.
Dies geschieht auf vielfältigen Wegen wie Benennung, Verschweigung, räumlicher Anordnung von ausgestellten Portraits oder Skulpturen und nicht zuletzt durch unseren Blick. Wir hoffen, dass wir es geschafft haben euch einige davon aufzuzeigen.
Wir selbst haben an vielen Stellen während der Recherche gemerkt, wie schwierig es ist Ausschlüsse und Normen zu erkennen, die uns selbst, als unter anderem ableisierte, weiße, Statisierte privilegieren und die uns darum häufig so selbstverständlich und unproblematisch erscheinen, dass wir sie erst gar nicht wahrnehmen. Wir haben dennoch versucht neben sexistischen Konstruktionen und Ausschlüssen durch die wir selbst diskriminiert sind auch Konstruktionen von Weißsein und Diskriminierungsverhältnisse wie Antisemitismus und Klassismus zu thematisieren.
In jedem Fall ist es uns wichtig zu sagen, dass wir dieses Projekt als den Versuch verstehen Fragen aufzuwerfen, die immer neue Fragen, in alle möglichen Richtungen, nach sich ziehen.
Wir wollen uns und im besten Falle auch euch zum Nachdenken bringen. Ersteres ist uns bereits gelungen.

Verwendung des dynamischen Unterstrichs:
“Um Binarisierungen weiter aufzubrechen und keine schriftbildliche Re_Präsentation eines männlich-konventionalisierten Wortes mit ›angehängter‹ weiblich-konventionalisierter Endung aufzurufen, wandert der Unterstrich als ›d.U.‹ durch die personalen Appellationsformen.” (AK Feministische Sprachpraxis (Hrsg): Feminismus schreiben lernen, 2011)

Verständnis von Machtverhältnissen:
Obwohl wir uns in unserem Projekt nicht auf alle existierenden Machtverhältnisse und Kategorisierungen explizit beziehen, gehen wir davon aus, dass diese immer im Wechselspiel miteinander und auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen wirken und nicht alleine stehen.
Kategorisierungen auf die wir nicht eingehen, die aber eine ebenso wichtige Rolle für die Herstellung von Normen spielen sind beispielsweise Behinderung/ Nichtbehinderung, Religion und Privilegierung aufgrund nationaler Zugehörigkeit.
Eine unserer Überlegungen zu Behinderung/Nichtbehinderung bezog sich darauf, dass die Art der Repräsentation der Personen dazu führt, dass die Personen als frei von Behinderung einlesbar sind, wodurch Nichtbehinderung implizit als Norm festgeschrieben wird.

Geschichtlicher Hintergrund/ zeitlicher Rahmen:
Bei einigen Kategorisierungen wie beispielsweise StaatsbürgerInnenschaft und Klasse wird besonders deutlich, dass sie nicht auf alle historisch-politischen Kontexte anwendbar bzw. an bestimmte Zeitspannen und Deutungskontexte gebunden sind. Um dies grob zu verdeutlichen folgende Eckdaten:

Zur Uni-Geschichte:
Die Friedrich-Wilhelm-Universität wurde 1810 gegründet und 1949 in Humboldt-Universität umbenannt.

Zu den Lebensdaten der repäsentierten Personen:
Die Lebenspannen der Personen, deren Repräsentationen von uns thematisert werden, umfassen die Jahre 1762 (Geburtsjahr Johann Gottlieb Fichte) bis 1995 (Todesjahr Adolf Butenandt).

Zu den historisch-politischen Kontexten:
   Bis 1806: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation
1815-1866: Deutscher Bund (Staatenbund)
1867-1871: Norddeutscher Bund
1871-1918: Deutsches Kaiserreich
1919-1933:  Weimarer Republik
1933-1945: Nationalsozialismus
1945-1949: Von den Alliierten besetztes Deutschland
1949-1990: DDR
1990-heute: Bundesrepublik Deutschland

Kurations-/Installationskontext:
Bis auf wenige Ausnahmen finden sich an den von uns thematisierten Repräsentationen keine Informationen dazu wann diese erstmals installiert wurden und wer die einzelnen Ausstellungsteile kuratiert hat.

So fragten wir uns unter anderem warum beispielsweise der Entstehungskontext des Marx-Zitates in Form einer Infotafel thematisiert wird und die Kontexte anderer Portraitsammlungen/Skulpturen bzw. des Mahnmals nicht?

Zur Auswahl der kontextualisierten Repräsentationen

Wir haben uns für unser Projekt auf jene Skulpturen und Portraits beschränkt, die sich direkt im und um das Hauptgebäude herum befinden und die Personen namentlich benennen und abbilden, die von der Uni als berühmte Gelehrte der Humboldt-Universität bezeichnet werden. Außerdem haben wir das Marx-Zitat im Foyer und das Mahnmal für die antifaschistischen Widerstandskämpfe_rinnen im Hinterhof in unsere Recherche einbezogen. Wir hoffen damit ansatzweise zu verdeutlichen welche Rolle die verschiedenen historischen Kontexte für die erstmalige Installation sowie das Verbleiben, Verschwinden oder die neue Besetzung einzelner Repräsentationen spielen.
Neben den Karten und den Informationen in dieser Broschüre haben wir an einigen der verzeichneten Portraits und Skulpturen Beschriftungen befestigt. Hierbei ist es unser Anliegen zu den repräsentierten Persönlichkeiten und der Art wie sie präsentiert werden, zu informieren oder Fragen zu stellen und auf Sachverhalte hinzuweisen, die auf den teils vorhandenen Kontextkärtchen der Universität keine Erwähnung finden.
Erst am Ende unserer Projektarbeit sind wir auf weitere Repräsentationen wie beispielsweise die 2010 auf Initiative von S_tudentinnen der Humboldt-Universität verlegten Stolpersteine vor dem Eingangstor des Hauptgebäudes und auf weitere im und um das Hauptgebäude herum befindliche Gedenktafeln gestoßen. Obwohl wir diese nicht in unser Projekt einbezogen haben, sollen sie hier nicht unerwähnt bleiben.

Die von uns im Folgenden thematisierten Repräsentationen sind der Installationslogik der räumlichen Anordnung der Uni folgend, in diese Untergruppen unterteilt:
Skulpturen vor, neben und hinter dem Hauptgebäude (EG)
Installation des Marx-Zitates im Foyer (EG)
Portraitreihe Nobelpreisträg_erinnen (1. OG)
Portraitreihe Rekto_rinnen und Präs_identinnen (1. OG)
Portraitreihe Frausierte Wi_ssenschaftlerinnen (1. OG)
Portraitreihe Phi_losophinnen (2. OG)
Mahnmal für die im Kampf gegen den Hitlerfaschismus Gefallenen (EG)

Karte der thematisierten  Repräsentationen_Fragen und Anmerkungen zu den Repräsentationen

1_ Warum werden die Entstehungskontexte und die Geschichten der Skulpturen nicht thematisiert?

2_ Warum steht auf dem Mahnmal der Terminus Hitlerfaschismus und  nicht Nationalsozialismus oder deutscher Faschismus?
Welcher Eindruck entsteht dadurch?
Wann und von wem und unter welchen politischen Maßgaben wurden welche Statuen aufgestellt?
Welche Art des Gedenkens kommt heute noch/ nicht mehr vor?
Wem wird nicht gedacht und welche Ausschlüsse werden dadurch (re)produziert?

3_ Wann und von wem und unter welchen politischen Maßgaben wurden die Statuen aufgestellt?

4_ Welches Bild von Philosophie wird durch die Potraitauswahl produziert?

5_ Warum wurde mit Marlis Dürkop erst 1992 erstmals eine Frauisierte Rekto_rin? Warum blieb sie bis heute die einzige? Warum ist Marlis Dürkop nicht portraitiert? Welcher Eindruck entsteht dadurch?

6_ Wie wird das Marx-Zitat heute kontextualisiert und welcher Eindruck entsteht dadurch? Würde das Marx-Zitat noch hängen, wenn es nicht unter Denkmalschutz stünde?

 7_ Gibt/ Gab es Nobelpreisträg_erinnen an der Friedrich-Wilhelm-Universität/ Humboldt-Universität, die bspw. nicht als weiß und typisiert einlesbar sind?

8_ Wer hat die Bildergalerie zu den Wissenschaf_tlerinnen/Stude_ntinnen and der Friedrich-Wilhelm-/Humboldt-Universität kuratiert und wann wurde diese Portraitsammlung installiert?
Nach welchen Kriterien wurden die Personen/Biographien ausgewählt?
Welche Frauisierten werden hier nicht gezeigt? > Frauisierte die unter prekären Bedingungen (d.h. unbezahlt und ohne jemals für ihre Leistungen gewürdigt und anerkannt worden zu sein) wissenschaftlich tätig waren noch bevor offizielle Immatrikulationen in Deutschland möglich wurden, werden hier nochmalig weg_genannt.
> Das verbindende Element der dargestellten Frauisierten besteht darin, dass sie um die Jahrhundertwende (19./20. Jh.) lebten und damit Protagonistinne_n des bis dahin verbotenen und dann erstmals erkämpften Zugangs Frauisierter zu höherer schulischer und universitärer Bildung in Deutschland waren.
Warum wird dieser Hintergrund nur punktuell in den Infotexten erwähnt und die diskriminierende Struktur, deren Teil diese Uni war, ent_erwähnt?

Finanzielle Privilegierung/ Bildungsprivileg

Welche der repräsentierten Personen sind nicht in finanziell privilegierten Verhältnissen aufgewachsen?/ Welche der  repräsentierten Personen sind nicht in Akade_mikerinnen-Familien aufgewachsen in denen ihnen Bildung nahegelegt und ermöglicht wurde?

Johann Gottlieb Fichte_42/74
Peter Debye_33

Mit finanzieller Privilegierung beziehen wir uns auf die wirtschaftlichen Verhältnisse und den sozialen Status der Familien in denen die Personen aufgewachsen sind. Im Rahmen unserer Recherche stellten wir fest, dass unter den häufigsten Berufen der Väter Kaufmann, Beamter, Anwalt, Pfarrer, Lehrer, Professor, Arzt und Großunternehmer genannt werden.
Warum wurden in unseren Quellen nur die Berufe der Väter benannt? Warum wurden die Mütter höchstens namentlich genannt oder über ihre Herkunftsfamilie (= Väter) definiert?
Warum fanden wir keine Biographien jenseits der als selbstverständlich suggerierten heterosexuellen Familie (Vater-Mutter-Kind-Modell)?
Wie unüberwindlich waren Stände- und Klassengrenzen im 18., 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts und wie durchlässig sind sie heute?

Der Begriff Bildungsprivileg bezeichnet den Umstand, dass Kinder aus finanziell privilegierten Familien hohe Chancen haben eine höhere Schule oder Universität zu besuchen. Wir gehen außerdem davon aus, dass es auch unabhängig von finanzieller Privilegierung für Kinder, die in Akademike_rinnen-Familien sozialisiert werden, leichter ist Zugang zu höherer Bildung zu erlangen.
Warum stabilisiert Politik diese Bildungsprivilegien noch heute?

Weißsein

Welche der repräsentierten Personen sind nicht als weiß konstruiert/ lesbar gemacht?

0 Personen

In Anlehnung an die Definition aus Mythen, Masken und Subjekte (Maureen Maisha Eggers et al.) verstehen wir Weißsein als eine Kategorie, die nicht natürlich gegebene Sichtbarkeit, sondern hergestellte, interpretierte und praktizierte Sichtbarkeit beschreibt.
Wir gehen davon aus, dass die Personen ausnahmslos als weiß eingelesen werden, wodurch ein Bild weißer Wissenschaft (re)produziert wird und Person of Color-Wissenschaftl_erinnen ent_nannt werden. Zudem wird die aktive Rolle, die viele Wissenschaftl_lerinnen im Kolonialismus gespielt haben sowie deren Beteiligung an kolonialistischer Ausbeutung und Ermordung von People of Color im Namen der Wissenschaft ent_erwähnt.

Geschlecht

Welche der repräsentierten Personen sind nicht der Kategorisierung Typisierte zugeordnet?

Rahel Hirsch_75
Paula Hertwig_76
Hedwig Hintze_77
Gertrud Kornfeld_78
Charlotte Leubuscher_79
Liselotte Herrmann_80/90
Marie Elisabeth Lüders_81
Rhoda Erdmann_82
Lise Meitner_83
Hedwig Dohm_84
Liselotte Richter_85
Gertrud Bäumer_86
Alice Salomon_87
Liselotte Welskopf-Heinrich_88
Agnes von Zahn-Harnack_89
Mildred Harnack-Fish_92
Liane Berkowitz_93
Ursula Goetze_94
Eva-Maria Buch_95
Rosemarie Terwiel_96

Geschlecht wird in den Repräsentationen der Personen als zweigeschlechtlich konstruiert und eingelesen. Das heißt die Personen werden als Frauen oder Männer dargestellt. In Anlehnung an Feminismus schreiben lernen (AK Feministische Sprachpraxis) nennen wir diese Konstruktionen Frauisierte und Typisierte.
Warum handelt es sich bei den repräsentierten Personen zu 80 % um Typisierte?

ZweiGenderung

Welche der repräsentierten Personen sind nicht einem System von ZweiGenderung (d.h. in Frauisierte und Typisierte eingeteilt) zugeordnet?

0 Personen

ZweiGenderung ist die Annahme, dass es 2 Geschlechter gibt und dass alle Menschen sich eindeutig einem der beiden Geschlechter zuordnen lassen. Diese Unterscheidung wird als selbstverständlich, natürlich, unhinterfragbar und objektiv gesetzt.
Neben stereotypen Darstellungen von Kleidung und Habitus wird dieser Eindruck auch über die Namen erzeugt. Die Vereindeutigung von Geschlecht wird neben solch kulturellen Tradierungen von Geschlechternormen auch durch unsere Vorannahmen und unseren Blick vollzogen.
Auf der Ebene der Austellungskuration wird ZweiGenderung auch durch die Separierung der Frausierten im Flur der Wissensch_aftlerinnen erzeugt.
Welcher Raum bleibt in diesen binären Konstruktionen für Trans- und Intersex-Menschen?

Übersicht der hinzugefügten Kontextualisierungen, Anmerkungen und Fragen in Form von Beschriftungen im und um das Hauptgebäude herum.

Alexander von Humboldt_2 Welche Rolle spielen Personen wie Alexander von Humboldt für die Beschönigung, Romantisierung und Ent_Nennung von Kolonialismus im Rahmen der Konstruktion des Entdeckermythos? Warum wird Alexander von Humboldt bis heute im deutschen Kontext fast ausschließlich positiv gezeichnet? Wo ist die kritische Auseinandersetzung mit der deutschen kolonialen Vergangenheit und der Kontinuität kolonialistischen Habitus’?

Arthur Schopenhauer_70 „Sie sind sexus sequior, das in jedem Betracht zurückstehende Geschlecht, dessen Schwäche man demnach schonen soll, aber welchem Ehrfurcht zu bezeugen über die Maaßen lächerlich ist...“ (Arthur Schopenhauer: Ueber die Weiber. In: Parerga und Paralipomena - Kleine philosophische Schriften, 1851; Zitiert aus A. Schopenhauer Sämtliche Werke, 2. Band, E. Brodhaus Verlag, Wiesbaden 1947, S. 657-658)
Ist Schopenhauers Misogynie eine Ausnahme in der Philosophie und unter den hier portraitierten Philos_ophinnen? Ist sie nicht konstitutiv für seine Theoriebildung? Ist sie unerheblich für die Würdigung seiner Philosophie? Was macht die Normalisierung misogyner Wissenschaft mit frauisierten Wissenschaft_lerinnen?

Johann Gottlieb Fichte_42/74 „Derjenige Jude, der [...] zur allgemeinen Gerechtigkeits-, Menschen- und Wahrheitsliebe hindurchdringt, ist ein Held und ein Heiliger. Ich weiß nicht ob es deren gab oder gibt. Ich will es glauben, sobald ich sie sehe [...] Menschenrechte müssen sie haben, ob sie gleich uns dieselben nicht zugestehen [...] Aber ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich kein Mittel als das, in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei. Um uns vor ihnen zu schützen sehe ich kein anderes Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern und sie alle dahin zu schicken.“ (Johann Gottlieb Fichte: Beiträge zur Berichtigung der Urtheile des Publicums über die französische Revolution, 1793; Zitiert aus: J. G. Fichte: Schriften zur französischen Revolution, Reclam Verlag, Leipzig 1988, S. 143-144)
Wie neutral ist Philosophie? Wann und wie wird Antisemitismus ent_nannt oder normalisiert?
Warum und seit wann hängt Fichte hier (immer noch)? Was sagt das? Und wie fühlt es sich an? Für wen? Wer ist hier implizit angesprochen?

Gertrud Bäumer_86 Gertrud Bäumer war antisemitisch. “Sie selbst definierte sich als Gegnerin des Antisemitismus, es gab jedoch ZeitgenossInnen, die sie für eine verkappte Antisemitin hielten. Bekanntlich verhinderte Bäumer 1919 die Wahl von Alice Salomon als Vorsitzende des BDF [Bund deutscher Frauenvereine_unsere Anm.]. Offiziell unterband sie Salomons Kandidatur mit dem Hinweis auf die antisemitische Grundstimmung in der Öffentlichkeit. [...] Außenpolitisch unterstützte Bäumer die Nationalsozialisten bis zuletzt. Ihr Traum von einem Großdeutschen Reich war ihr so wichtig, dass sie die Verfolgung, Ausgrenzung und Ermordung von „Nichtariern“ und „Nichtarierinnen“ nicht oder nur begrenzt wahrnahm. Ihre Gedanken kreisten vornehmlich um sich selbst und das eigene Werk. Die eigenen publizistischen und rednerischen Wirkungsmöglichkeiten wurden hoffnungslos überschätzt, und der Schaden, den sie durch Anpassung und selektive Wahrnehmung anrichtete, wurde nicht reflektiert. Bäumer zählte sich selbst zur Fraktion der „inneren Emigration“, die sie dem politischen Widerstand zuordnete.“ (Elke Kleinau: Sammelrezension: A. Schaser: Helene Lange und Gertrud Bäumer, 2004 Zitiert aus: http://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=34307)

Lise Meitner_83 Lise Meitner war „maßgeblich an der Entdeckung der Kernspaltung beteiligt“ (siehe Portrait Nr. 83). Lise Meitner musste 1938 im Zuge des Anschlusses von Österreich aufgrund antisemitischer Verfolgung nach Schweden fliehen und wurde wie Fritz Straßmann bei der Verleihung des Nobelpreises an Otto Hahn übergangen. Dies wird sowohl hier als auch im Infotext des Otto Hahn-Portraits ent_erwähnt.

Adolf Butenandt_34 Butenandt war der Nachfolger von Carl Neuberg, der im Zuge des antisemitischen „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ 1934 als Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biochemie entlassen wurde. Somit profitierte Butenandt vom nationalsozialistischen System.  Der Umstand dass Butenandt alle Institutsunterlagen mit dem Vermerk „geheime Reichssache“ vernichtete, belegt seine Verstrickung in NS-Verbrechen. Er arbeitete außerdem eng mit Günther Hillmann und Otmar Freiherr von Verschuer, so genannter Rassenhygieniker und Eugeniker und Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie zusammen. Verschuer und Hillmann arbeiteten zusammen an einem Forschungsprojekt, bei dem sie von Joseph Mengele Blutproben und Leichenteile aus Auschwitz erhielten. Es ist daher davon auszugehen, dass Butenandt über dieses Forschungsprojekt und dessen Versuchsreihen, informiert war.  Darüber hinaus war er selbst an dubiosen medizinisch-militärischen Forschungsprojekten beteiligt. In Versuchsreihen zu Hämopoietin (Erythropoetin) war er Versuchen an menschlichen Lebern nicht abgeneigt.
Im Nachkriegsdeutschland hat er ein Bild der reinen Wissenschaft propagiert, die unabhängig von politischen Systemen agiert. Butenandt trat bei Entnazifizierungsprozessen für seine Nazi-Kollegen ein und argumentierte, dass diese durch ihr Betreiben einer reinen Wissenschaft keine Schuld an Verbrechen an der Menschlichkeit tragen und verhalf dadurch vielen Täter_innen zur Rehabilitation.

Otto Hahn_19  Otto Hahns politisch desinteressierte Haltung bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten verdeutlicht seine gesellschaftlich privilegierte Position im Vergleich zu Personen wie z.B. Albert Einstein, der Deutschland schon im Jahre 1932 aufgrund zunehmender antisemitischer Übergriffe auf seine Person verließ. Das lässt darauf schließen, dass es Hahn möglich war, die zunehmend antisemitische Atmosphäre zu ignorieren.
„Herr Hahn und ich erkannten seinerzeit sehr genau die Möglichkeit der Gewinnung explosiver Energien, als wir 1938 die Kernspaltung vollzogen hatten...“ (Klaus Hoffmann (1993), Otto Hahn – Schuld und Verantwortung, S. 159) Warum haben Hahn und Straßmann unter der gegebenen politischen Situation in Deutschland weitergeforscht? Wie sieht es mit der Verantwortung der Wissenschaft gegenüber Menschen aus? Haben Wissenschaftle_rinnen nicht die Pflicht kontinuierlich zu reflektieren welche Konsequenzen die Forschungsergebnisse nach sich ziehen könnten? Wem sie nutzen und wem sie schaden können? Warum wird Wissenschaft immer als neutral und unabhängig von gesellschaftlichen Kontexten gesetzt?
Darüber hinaus wird Lise Meitner, die „maßgeblich an der Entdeckung der Kernspaltung beteiligt“ war (siehe Infotext des Portraits Nr. 83) hier ent_erwähnt. Lise Meitner musste 1938 im Zuge des Anschlusses von Österreich aufgrund antisemitischer Verfolgung nach Schweden fliehen und wurde wie Fritz Straßmann bei der Verleihung des Nobelpreises übergangen.

Alice Salomon_87 1919 unterband die in diesem Flur ebenfalls portraitierte Getrud Bäumer in vorauseilendem Antisemitismus Alice Salomon’s Wahl zur Vorsitzenden des Dachverbandes der deutschen Frauenbewegung (Bund deutscher Frauenvereine - BDF).
Unter Bezugnahme auf ihre „jüdische Herkunft“ setzten Mitarb_eiterinnen dieser Universität die antisemitische Verfolgung im Falle von Alice Salomon sofort nach Machtergreifung 1933 um. Der in den Infotexten der Portraitreihe durchgängig verwendete Begriff „jüdische Herkunft“ wurde von den Nazis eingeführt, willkürlich zugeschrieben und als Begründung für Verfolgung und Ermordung der so Bezeichneten angeführt. Alice Salomon schreibt darüber in ihrer Biographie. (Charakter ist Schicksal – Lebenserinnerungen, Beltz Verlag, Weinheim und Basel, 1983, S. 236 ff. Originaltitel: Character is destiny, geschrieben 1940, erstmals veröffentlicht in deutscher Übersetzung 1983 und in der Originalausgabe 2004)

Hedwig Hintze_77 Wurde Hedwig Hintze die Lehrbefugnis „aufgrund ihrer jüdischen Herkunft“ entzogen oder aufgrund staatlich organisierter antisemitischer Diskriminierung, die von den Mitarbeite_rinnen dieser Universität, zum eigenen Vorteil, umgesetzt wurde?
Wie werden Verantwortlichkeiten und Verfolgung ent_nannt und nationalsozialistische Begründungsmuster wiederholt?
Ein vergleichendes Beispiel:
Infotext des Portraits Nr_77: „1941 folgte ein Ruf als Associate Professor of History an die New School for Social Research in New York, dem sie wegen der deutschen Besatzung der Niederlande nicht mehr folgen konnte.“ (A_utorin unbenannt)
Vs.
Infotext der Hedwig Hintze-Gesellschaft: „Kurz vor Kriegsausbruch floh sie in die Niederlande, in der Hoffnung eine Ausreisegenehmigung zu bekommen. Nach dem Tod ihres Mannes 1940 und gescheiterten Einreiseversuchen in die USA, ohne finanziellen Rückhalt und seelisch am Ende nahm sie sich vermutlich - unter noch nicht ganz geklärten Umständen - im Juli 1942 in Utrecht das Leben.“ (Autorin Dr. Elisabeth Dickmann; Zitiert aus: http://www.hhi-bremen.de/hedwig.html)


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